Kirsten Kötter

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Kameelah Janan Rasheed stellt in dem KW Institute for Contemporary Art im 2. Stock aus. Sie bekommt den Preis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung 2022. Ihr Schwerpunkt: Schrift, Information. Kameelahs Kunst wurzelt in Strategien der Black Studies und Black radical tradition, in Schwarzer Wissensproduktion, in Informationstechnologien, in Ideen des lebenslangen Lernen und Verlernen, heißt es im Text zur Ausstellung. Sie ist außerdem Gründerin von "Mapping the Spirit", einem digitalen Archiv zum Thema "Schwarzer Glaube". Sie trägt ein schwarzes Kopftuch und Gewand. Sie ist smart, wach und schnell, denn sie fragt mich nach meinem Vornamen und ob ich aus Norwegen komme (mein Name kommt aus dem Dänischen, also recht gut geraten). Aufgewachsen in einem intellektuellen Elternhaus im Silicon Valley, hat sie Schriften ihres Vaters Kamal Saleem Rasheed – "That Which Sprouts Another" (ca. ) in ihr Künstlerinnenbuch "in the coherence, we weep" integriert. Die langen Bahnen mit Schriften, Zeichen und die Deckeninstallation mit Stoff wirken traditionell afrikanisch oder orientalisch, die Tafeln an den Wänden mit Diagrammen, Texten zeigen den Umgang mit Wissen, Information und haben vielfältige Bezüge (Rudolf Steiner, Computer, Telefonkritzelei, Comic ...) oder keine. Das Kunstwerk, das mich von ihr am meisten fesselt, ist ein Video, das nichts mit Schrift zu tun hat und nur am Rande mit Information. Zu dem Lied "Smooth Operetta" von / zeigt sie schwarz-weiß-graue Bilder, oft unscharf, oft beschleunigt. Menschen, Landschaften, Architekturen, Natur, Anklänge von Reise. Unscharfe schnelle Bilder, Ausschnitte. Der Liedtext wird parallel zum Song eingeblendet. Kameelah erklärt mir, dass es ihr darum ging, einen bekannten Liedtext mit ungewöhnlichen Bildern zu hinterlegen. Die eingängige Musik hören wir in beiden Stockwerken von Kameelahs Ausstellung. Das Video selbst ist elegant, schnell, rhythmisch, aber auch weich, smooth. Was ich mitnehme: Bewegung.

Bewegung begrüßt mich beim neuen Standort des ngbk. An einer Rolltreppe steht ngbk mit Pfeil nach oben – Bewegung. Der Kunstverein ist umgezogen in die Nähe des Alexanderplatzes in ein großes Hochhaus mit einer Art vorgelagerter Balkone oder offener Empore im 1. Stock, wohinter nun die neuen Räume sind. Teilweise mit großen Fenstern. Vor einem Fenster bieten "Ringgeflechte" einen Schutz vor zuviel Sonne und neugierigen Blicken. Burkhard Schmeling, der die Ringgeflechte seit etwa 20 Jahren aus verschiedenen Materialien entwickelt hat – hier sind sie aus Abfall gemacht, ist anwesend und spricht sehr positiv über den neuen Standort des ngbk. In den neuen Räumen des ngbk stellt jetzt eine internationale Gruppe aus, die international gearbeitet hat. In ihren Herkunftsländern oder in fremden Ländern sind sie an Orte gegangen, an denen arme oder benachteiligte Menschen leben, und haben dort künstlerisch und / oder sozial gearbeitet. Die Kunst im Ausstellungsraum ist auch ein Mittel zur Kommunikation, ein Hinweis auf die aktivistische Arbeit. Über Jahre gingen die Projekte, waren mehrere daran beteiligt, mit Berlin als einen Ort, aber auch in Pakistan, Sri Lanka und weiteren Ländern. Die emotionale Involviertheit der Gruppenmitglieder wird deutlich, während sie ihre künstlerischen Arbeitern schildern. Vicky Shahjehan ist scheu, und es fällt dieser Person nicht leicht, vor der Gruppe zu sprechen (zu Vickys Arbeit s. u.). Dabei sind kaum Außenstehende da. Die Gruppe spricht mehr für sich, feiert sich. Einige nutzen die Gelegenheit für starke Aussagen: So sagt eine Aktivistin von "Women* in Exile" wie froh sie ist, dass das erste, was sie in der Ausstellung sieht, ein Banner ihrer Gruppe ist. Denn "Women* in Exile" prägt ihr Leben in Berlin, gibt ihr Identität, ist ihr Anker und Anlaufpunkt. Die Ausstellung ist international, die Gruppe sucht die Nestwärme, da ist ein Draußen und Drinnen. Am Ende der Führung durch die Ausstellung steht ein großes Fernglas, nach außen gerichtet. Mit dem können Ausstellungsbesuchende den Himmel, den Kosmos beobachten – und weit nach draußen schauen.

Weit draußen liegt die Georg-Kolbe-Villa. Mit dem Fahrrad ist es weit, sehr viel Bewegung dorthin. Kurz vor der Georg-Kolbe-Villa verändert sich das Stadtbild: Hier sind Villen, Gärten. Wie häufig bei den Ausstellungen in der Villa dort, wird das Flair der Villen, Gärten, der besonderen Architektur von Kolbes Sensburg in der Ausstellung aufgenommen. Zu sehen sind diesmal Tiere und Menschen von Lin May Saeed: Tier- und Menschen-Skulpturen, Reliefs mit Tieren und Menschen, Geschmiedetes und großformatige Buntpapier-Wandarbeiten. Ein ganzer Kosmos breitet sich aus mit Fabeln von Tieren und Menschen. Der Geist der Arbeiten könnte zu den er Jahren passen. Es ist tragisch, dass Lin Mae Saeed nach langer Arbeit erste internationale Erfolge erringt, die Ausstellung in der Kolbe-Villa noch mit aufbaut, aber vor der Vernissage nach langer Krankheit stirbt. Einige Besucherinnen und Besucher kommentieren dieses traurige Moment. Gerade, wo sich der Kosmos von Lin May Saeed entfalten darf, ist die Schöpferin nicht mehr da. Ihre Arbeit wurde lange von der Galeristin Jacky Strenz in Frankfurt am Main unterstützt, die sie regelmäßig ausstellte und auf Messen mitnahm. Der Kurator Robert Wiesenberger, der für eine Ausstellung im Clark-Institute hinzugezogen worden war, hatte Lin May Saeed zuvor in Berlin in ihrem Atelier besucht und war dort auch von ihrem Zusammenleben mit Tieren, Kaninchen, fasziniert. Er vermittelte ihr eine Ausstellung im Clark-Institute (, Williamstown, USA), in der sie ihren Kosmos ausbreiten durfte, der nun zum Teil wiedererstehen konnte in der jetzigen Ausstellung in Berlin, die sehr zu empfehlen ist, und es bleibt noch länger Zeit, sie zu sehen.

Politisch ist die Arbeit von Lin May Saeed höchstens indirekt. Es gibt aber neben der Ausstellung ngbk viele weitere politische Ausstellungen bei der Art Week. So bekommt die feministisch-politische Galerie alpha nova einen Preis für ihre Arbeit. Und die Ausstellung im Erdgeschoss der Kunstwerke zeigt die politische Aktivistin Coco Fusco. Cocos frühe Arbeiten sind richtig "er" und sehr lustig und direkt. So gibt sie mit anderen künstlerischen Aktivisten vor, aus einem fernen Stamm zu sein, der gerade erst entdeckt wurde. Die Reaktionen der Besucher sind unterschiedlich. Einige nehmen die Aktion für wahr und empören sich darüber, dass die Stammesangehörigen in Käfigen sind. Manche von Cocos Arbeiten fanden in Theatern statt, andere waren Guerilla-Arbeiten auf Kunstmessen und ähnlichen Orten. Von bis beschäftigte sich Coco mit Guantanamo und der Situation der Gefangenen wie auch der Situation der Wärterinnen auf eine sehr mutige, direkte und politische Weise. So stellte sie mit Schauspieler*innen und Performer*innen Szenen und Situationen nach. Die späteren Arbeiten von Coco Fusco sind Videos, in denen sie als Erzählerin auftritt und die eine Nähe zu dokumentarischen Arbeiten haben. Hier beschäftigt sie sich vor allem mit ihrem Heimatland Kuba und dessen repressiver Kunstpolitik.

Auf der Kunstmesse Positions präsentieren die Galerien überwiegend Malerei: viele abstrakte Bilder sind dabei, aber auch "wilde" oder gegenständliche. Eher Bilder, die "übers Sofa passen", aber nicht nur. Die Positions hat ein Konzept entwickelt mit einem Schwerpunkt von ausgewählten Galerien aus Mexiko und insgesamt über 100 ausgewählten Galerien. Adressat scheint ein kaufkräftiges Mittelstand-Publikum zu sein, das auch noch gar nichts von Kunst wissen muss, interpretiert man Verkaufsstrategien einiger Mitarbeiter*innen in den Kojen. Das künstlerisch beeindruckenste Bild mit besonders stimmigen Farben ist sehr groß, stammt von Bernard Schultze, dem bereits verstorbenen Maler des Informel der er und ist (wahrscheinlich) nicht zu kaufen, denn es wirbt für eine Kunstversicherung. Die Art Week umfasst auf jeden Fall eine weite Spanne: von politisch bis allegorisch, von aktivistisch bis Kunstmesse.

Orte / Ausstellungen

KW Institute for Contemporary Art
Auguststr. 69
10117 Berlin
www.kw-berlin.de/
Coco Fusco
Tomorrow, I Will Become an Island
Preis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung 2022:
Kameelah Janan Rasheed
in the coherence, we weep
SKIN IN THE GAME
Ruth Buchanan, Otobong Nkanga, Collier Schorr, Rosemarie Trockel, Joëlle Tuerlinckx, Andrea Zittel

neue Gesellschaft für bildende Kunst
ngbk
Karl-Liebknecht-Straße 11/13
1. Etage (Zugang über Rolltreppe)
10178 Berlin
Di-So 12-18 Uhr
Fr 12-20 Uhr
https://ngbk.de
House of Kal. Gezeiten-Ko-Haitat für queere, antikoloniale Welten
erstellt von einem Kollektiv über viele Jahre in Colombo (Sri Lanka), Pakistan, Berlin und anderen Orten
Vicky Shahjehan arbeitete in Colombo (Sri Lanka) in einem als "Sklaveninsel" bekannten Viertel und im queeren migrantischen Berlin.
Zahabia Khozema arbeitete in ihrer Heimatstadt Karatchi (Pakistan).
und weitere Projekte und Orte.

Georg-Kolbe-Museum
Sensburger Allee 25
14055 Berlin
Mi-Mo 11-18 Uhr
https://georg-kolbe-museum.de
Lin May Saeed
Im Paradies fällt der Schnee langsam. Ein Dialog mit Renée Sintenis.

POSITIONS Berlin Art Fair
Die POSITIONS Berlin Art Fair findet vom im Flughafen Tempelhof Hangar 5–6 statt.
https://positions.de/

Kirsten Kötter,